Erinnern ohne Zeitzeug*innen

Erinnern ohne Zeitzeug*innen

von Erik Stratmann, Praktikant

In einer Zeit, in der das persönliche Zeugnis über die Schoa immer seltener wird, spielen Vereine wie der Zweitzeugen e.V. eine entscheidende Rolle, um die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten.

In dem Projekt bei dem der Zweitzeugen e.V. und das Jüdische Museum Westfalen mit dem Paul-Spiegel-Berufskolleg kooperierten, ging es darum, dass die Schüler*innen die Geschichte von Schwester Johanna, die eng mit der Stadt Dorsten verbunden ist, zu einer Ausstellung zusammenzufassen. Der Zweitzeugen e.V. konnte Schwester Johanna vor ihrem Tod interviewen, um ihre Geschichte weitererzählen zu können. Das Jüdische Museum Westfalen verfügt über viele Bild- und Tonquellen sowie einen Teil ihres Nachlasses.

Schwester Johanna war die Gründungsdirektorin des JMW. Im Nationalsozialismus wurde sie als sogenannte Halbjüdin verfolgt. Sie fand Schutz in der Ursulinenschule, dort wurde sie von den Nonnen vor den Nationalsozialisten versteckt, ehe sie nach Berlin ging, um dort als Dolmetscherin zu arbeiten. Nach Ende des Krieges kehrte Schwester Johanna ins Ruhrgebiet zurück, um Ordensschwester zu werden.

In diesem Rahmen nahm eine Schulklasse an zwei Workshop-Tagen im JMW teil, die die Kolleg*innen von Zweitzeugen e.V. durchführten. Der Workshop bot den Schüler*innen nicht nur die Gelegenheit über biographische Zugänge sich mit Themen wie Nationalsozialismus, Schoa und Fragen zu ihrer eigenen Identität auseinanderzusetzen, sondern auch die Biographien von Zeitzeug*innen kennenzulernen und Wissen auf eine ganz besondere Art und Weise vermittelt zu bekommen.

In dem Workshop hatten die Schüler*innen die Gelegenheit die Podcasts von Henny Brenner und Wolfgang Lauinger anzuhören. Die beiden erzählten von ihren Erfahrungen, Schwierigkeiten und Ängsten. Ihre Geschichten sind geprägt von Hoffnung, aber auch von Schmerz und sie machen deutlich, wie Grausamkeit und Menschlichkeit gleichzeitig existieren konnten. Ihre Geschichten sind ungefiltert und ehrlich erzählt und geben uns einen Einblick in die dunkelsten Kapitel der Geschichte.

Nachdem die Schüler*innen die Podcasts gehört hatten, wurde ihnen eine neue Aufgabe vorgestellt. Die Schüler*innen haben die einzigartige Möglichkeit, eine Ausstellung zu konzipieren, die sich der Erinnerung an Schwester Johanna widmen wird. Das JMW stellte dafür im Vorfeld einige Exponate zur Verfügung. Die Schüler*innen waren sehr interessiert an den Exponaten und der Geschichte von Schwester Johanna. Diese Ausstellung ist eine Möglichkeit das Leben und die Taten von Schwester Johanna zu präsentieren, die nicht nur die Dorstener Stadtgeschichte, sondern auch das Jüdische Museum geprägt hat. Es ist eine Gelegenheit, Geschichte als das zu betrachten, was sie wirklich ist: komplex und unverfälscht.

Diese Sonderausstellung wird am 24.09. eröffnet, um zu einer breiten Diskussion anzuregen und das Bewusstsein für die Vergangenheit und die Menschen, die sie geprägt haben, zu schärfen. Sie ist ein Aufruf zur Erinnerung und zur Reflexion über die Folgen von Handlungen und Entscheidungen. Die Schüler*innen freuen sich bereits jetzt schon ihre Ergebnisse aus dem Workshop und den Unterrichtsstunden auszustellen und zu präsentieren.

In einer Zeit, in der die Stimmen der Zeitzeugen allmählich verstummen, erinnert uns der Workshop und die Ausstellung daran, wie wichtig es ist, ihre Geschichten zu hören und weiterzugeben. Ich hoffe, dass diese Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Vereine wie dem Zweitzeugen e.V., dem Paul-Spiegel-Berufskolleg und dem Jüdischen Museum Westfalen auch in Zukunft bestehen bleibt und Generationen dazu inspiriert, aus der Vergangenheit zu lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten.

(August 2023)