Geschichte der Dinge – DDR-Unrecht

von Dr. Kathrin Pieren, Museumsleiterin


Seit Mitte Dezember 2020 wartet die Wanderausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zur Provenienzforschung in nordrhein-westfälischen Museen („Die Geschichte der Dinge“) im Jüdischen Museum Westfalen aufgrund von Corona vergeblich auf Besucher*innen. An dieser Stelle geben Mitarbeiter*innen des Jüdischen Museums in sechs Blogposts einen Einblick in verschiedene Aspekte dieses breiten Themas.

 

Der Geschichte 3. Teil: DDR-Unrecht

Immer noch weniger bekannt als der NS-verfolgungsbedingte Entzug von Objekten ist der Entzug von Privateigentum durch den Staat innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in der unmittelbaren Nachkriegszeit und während der DDR-Diktatur. Aufgrund von verschiedenen Enteignungen und Zwangsverkäufen kamen Kunstwerke, Gemälde und Drucke, aber auch kunsthandwerkliche Arbeiten aus privatem Besitz in den Handel, davon auch viele in den Westen.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit während der sowjetischen Besatzung wurde Kulturgut unter anderem im Zuge der Bodenreform, ein neutraler Name für die Enteignung von Großgrundbesitz (auch „Schlossbergung“ genannt), verstaatlicht. Kriegsbelastete Industriebetriebe und dort zuvor kriegsbedingt untergestelltes Kulturgut wurden ebenfalls unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, und nahezu alle bürgerlichen Vereine wurden enteignet. Außerdem gingen Strafurteile sowjetischer Militärgerichte mit Vermögensentzug einher.

Nach der Gründung der DDR im Jahre 1949 wurde bei offiziellen Umzügen nach Westeuropa nicht zur Ausfuhr zugelassenes Umzugsgut unter staatliche Verwaltung gesetzt, und im Falle von Republikflüchtlingen ging das zurückgelassene Privatvermögen ebenfalls in staatliche Verwahrung. Im Jahr 1962 wurden während der Aktion „Licht“, einer Geheimaktion des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), Inhalte von Tresoren und Schließfächern bei Banken, in Schlössern und Fabrikvillen, deren Besitzer*innen nicht mehr zu finden waren oder die geflohen waren, beschlagnahmt.

Ein Teil der enteigneten Güter ging an Museen und Bibliotheken in der DDR. Andere kamen über die Kunst und Antiquitäten GmbH, einem 1973 gegründeten Außenhandelsbetrieb der DDR, ins westeuropäische Ausland.

Die Ausstellung „Die Geschichte der Dinge“ zeigt ein Set von sechs Silberbechern, von dem wir wissen, dass es aus der DDR stammt, aber nicht, wie genau es in die BRD gekommen ist. Die vergoldeten Silberbecher ohne Henkel, sogenannte „Koppchen“, wurden um 1700 in Augsburg, in der Werkstatt des Goldschmiedemeisters Tobias Baur hergestellt. Die Becher sind emailliert und tragen verschiedene Landschaftsdarstellungen und Goldverzierungen. Sie waren Teil eines Teeservices aus dem Besitz des Zaren Peter I. von Russland (1672-1725). Dazu gehörten ursprünglich auch eine vergoldete Silberkanne und vergoldete Unterschalen; da diese Metalltassen sehr heiß wurden, goss man den Tee zunächst in die Unterschale, um daraus zu trinken.

Zarin Katharina II. schenkte das Service Ende des 18. Jahrhunderts der Herzogin Auguste von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Ihr Enkel, Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg, übergab es 1878 dem Museum der Herzoglichen Anstalten für Kunst und Wissenschaft in Gotha. Während des Zweiten Weltkriegs und der Sowjetischen Besatzungszone erlitt das Schloss große Verluste. Vermutlich wurde das Teeservice nach dem Krieg von einem Museumsmitarbeiter widerrechtlich verkauft. Die Koppchen wurden in der Verlustdokumentation des Schlossmuseums von 1997 aufgelistet und sind seit 2006 Gegenstand von Suchmeldungen in der Lost Art-Datenbank in Magdeburg.

Aber wie endeten die Koppchen in Nordrhein-Westfalen? Im Jahre 1961 wurden sie als Teil des Besitzes der Hamburger Kunsthandlung R.K.A. Huelsmann fotografiert. Wie lange sie da bereits im Besitz des Kunsthändlerehepaares Friedrich und Gertrud Hülsmann waren und wem die beiden die Koppchen abgekauft hatten, ist aber nicht bekannt. 1984 wurden sie als Teil einer größeren kunsthandwerklichen Sammlung der Stadt Bielefeld, Friedrich’s Geburtsstadt, vermacht. Die Sammlung bildet den Kernbestand des vor 25 Jahren gegründeten Museums Huelsmann | Kunst + Design in Bielefeld. Bereits 2017 hat das Museum mit der systematischen Erforschung seiner Sammlungsgeschichte begonnen, und die Stiftung Huelsmann strebt zurzeit eine faire und gerechte Lösung für die Objekte aus dem Schlossmuseum Gotha an.