„Lotte Errell – Reisefotografin in den 1930er Jahren“
Reise nach China

von Anja Mausbach, Pädagogische Mitarbeiterin


Aufgrund der Pandemie war diese Ausstellung lange Zeit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Deshalb gibt unsere kurze Blogserie, deren letzte Folge dies ist, einen Eindruck vom Werk, der Themenvielfalt und der Arbeitsweise dieser spannenden Pionierin der Reisefotografie.

 

Lotte Errells Reise nach China

Eine erste Reise führte die Fotoreporterin Lotte Errell in den späten 1920er Jahren nach Afrika, wo sie sich einem Filmteam anschloss. Die zweite Reise trat sie 1931 im Auftrag des Ullstein-Verlags an und verblieb über ein Jahr lang in China. Von Shanghai reiste sie landeinwärts über den Fluss Jangtse-Kiang in die Hafenstadt Chingqong, Region Sichuan. Währenddessen berichtete sie von Angriffen auf das Schiff seitens der Roten Armee. China befand sich im Bürgerkrieg und hatte unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise zu leiden. Im Frühjahr 1932 hielt sie sich in Peking auf und schon bald darauf war sie wieder in der Umgebung von Shanghai unterwegs. Dokumente, die die Umstände des Auftrags mit dem Ullstein Verlag näher beleuchten könnten, sind während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. Dass politische Themen höchstens als Randnotiz in ihren Aufzeichnungen vermerkt wurden, lag vermutlich an der Auftragslage unter dem Titel „Frauen und Mode“. Gründe dafür könnten die primäre Belieferung an die Ullsteiner Frauenzeitschriften gewesen sein, sowie die Abdeckung politischer Themen durch andere Korrespondenten des Verlags.

Vom Fremden angezogen und inspiriert, verarbeitete sie in diesen Fotografien während der Chinareise ein vielfältiges Themenspektrum. In der Sammlung finden sich Fotos vom Gefängnis in Sichuan, das als äußerst brutal und streng galt, auch vom abgedankten Kaiser Pu-Yi oder von rosenkranzbetenden Frauen. Neben diesen ausdrucksstarken Portraits und szenischen Nahaufnahmen offenbaren ihre Bilder einen Eindruck vom gesellschaftlichen Alltag. Sie bildete auch elende Zustände ab, wie Kinderarbeit in einer Seidenspinnerei, Frauen in Bergwerken und von Armut gepeinigte Arbeitslose auf den Straßen von Shanghai. Ein Großteil ihrer Texte und Bilder ist aber der chinesischen Oberschicht gewidmet.

Der Aufenthalt in Peking war geprägt von Begegnungen mit der Oberschicht und europäischen Journalisten. Mit dem französischen Reiseschriftsteller Albert Londres verband sie eine Liebesaffäre und interviewte mit ihm gemeinsam den ehemaligen chinesischen Kaiser. Kurz darauf stirbt Londres bei einem Schiffsbrand. Ob Lotte Errell ihm die Kontakte in Peking zu verdanken hat oder wie diese überhaupt zustande gekommen sind, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Errell verfasste eine dreiteilige Artikelserie in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ zu ihrem Aufenthalt in China. Im letzten Teil vom 19. März 1933 „Reise durch das unbekannte China III: In einer Schauspielschule“ zeigte sie vor allem kostümierte Kinder, die sich in der Schauspielschule auf ihre Rollen vorbereiteten. In der Nationalen Akademie von Peking durchliefen diese Kinder die Ausbildung zu ihrem späteren Beruf als Schauspieler und Schauspielerinnen. Fasziniert von der Ernsthaftigkeit mit dem die Kinder dieses Ziel verfolgten, erläuterte Lotte Errell, dass die Schauspielerei wie ein Handwerk gelernt werde und Eltern sich schon früh für den Lebensweg ihrer Kinder entscheiden müssen. Lotte Errell verstand es, fremd wirkende Szenarien einzufangen und dabei keine Wertung vorzunehmen.  Nicht nur der Ullstein Verlag veröffentlichte ihre Text-Bild-Reportage aus China. Auch Verlage in London, Mauritius und New York druckten sie – teilweise mit ihrem Wortlaut – ab. Dies spricht für ihr Ansehen und die Akzeptanz ihrer Arbeit.

(Juni 2021)

Bild: Berliner Illustrirte Zeitung, 42. Jg. Nr. 11, 19. März 1933, S. 373